Stellenwert der Beratung

Die Epilepsie ist auch heute noch eine stigmatisierende Erkrankung, sie wirkt sich auf alle Lebensbereiche der Betroffenen aus. Die Krankheit ist mit erheblichen negativen sozioökonomischen und psychosozialen Folgen verbunden. Dies betrifft die Fahreignung, relevante Risiken am Arbeitsplatz oder zu Hause sowie das Risiko eines plötzlichen, unerwarteten Todes bei Epilepsie (SUDEP). Darüber hinaus sind die Auswirkungen auf Familie und Partnerschaft zu berücksichtigen.

Daher ist eine ausführliche ärztliche und/oder sozialarbeiterische Beratung – in der Klinik, in der Ambulanz/Praxis oder in der Epilepsieberatungsstelle – möglichst frühzeitig nach der Diagnosestellung von großer Bedeutung. Das Beratungsgespräch sollte nicht nur die Behandlung der Epilepsie thematisieren, sondern auch Aspekte wie Krankheitsverarbeitung, Vermittlung epilepsiespezifischen Wissens und die Vermeidung von Unfällen berücksichtigen.

Beruf und Ausbildung

Menschen mit Epilepsie sind häufiger von Arbeitslosigkeit und Frühberentung wegen Erwerbsunfähigkeit betroffen. Berufliche Einschränkungen ergeben sich teils auch aufgrund der fehlenden Kraftfahreignung oder aufgrund von Komorbiditäten wie einer Depression.

Berufliche Tätigkeiten – Empfehlungen für die Praxis

  • Eine eingehende und frühzeitige berufliche Beratung ist wichtig, um eine Über- und Unterschätzung von Risiken und ungerechtfertigte Einschränkungen zu vermeiden und somit die Erwerbsfähigkeit bzw. -tätigkeit zu sichern.

Detaillierte Informationen zu diesem Thema finden Sie in der Leitlinie in Kapitel 2.5.2.

In der Leitlinie wird eingehend auf die richtige Vorgehensweise und die Initiierung unterstützender Maßnahmen, z.B. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder berufliche Rehabilitation, eingegangen. Bei komplexen Fragestellungen zu beruflichen Aspekten sollen Mitarbeiter:innen aus spezifisch qualifizierten Bereichen (behandelnde Neurolog:innen, betriebliches Eingliederungsmanagement, Integrationsfachdienst etc.) einbezogen werden (siehe Kapitel 2.5.2, 2.5.9 und 2.5.12).

Überprüfung der Kraftfahreignung

Die Kraftfahreignung ist nach Diagnosestellung für die betroffenen Patient:innen ein zentrales Thema. Die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung unterscheiden hier zwischen Epilepsie und einem erstmaligen unprovozierten epileptischen Anfall ohne ein signifikant erhöhtes Rezidivrisiko. Für akut symptomatische Anfälle gelten besondere Richtlinien. Neben den Anfällen werden bei der Beurteilung auch mögliche Nebenwirkungen von Anfallssuppressiva und Komorbiditäten berücksichtigt. Fachneurologische Untersuchungen über die Fahreignung müssen zunächst in jährlichen Abständen erfolgen.

Angemerkt sei, dass eine ärztliche Aufklärung über die Fahreignung und auch über die Eignung für bestimmte berufliche Tätigkeiten erfolgen muss; diese ist nur dann als erfolgt anzusehen ist, wenn die Inhalte schriftlich aufgezeichnet wurden (vgl. § 630 h Abs. 3 BGB).

Plötzlicher, unerwarteter Tod bei Epilepsie (SUDEP, sudden unexpected death in epilepsy)

Da es bei Patient:innen mit Epilepsie viele andere wichtige Beratungsaspekte gibt, rückt das Thema SUDEP manchmal in den Hintergrund. Die betroffenen Patient:innen und ihr Umfeld haben jedoch ein großes Interesse an einer frühzeitigen Aufklärung. Den Leser:innen werden Beispiele und konkrete Formulierungshilfen für das Beratungsgespräch an die Hand gegeben (Kapitel 2.5.18, Tabelle 16).

SUDEP – Empfehlungen für die Praxis

  • Alle Patient:innen mit Epilepsie und deren Angehörige bzw. Partner:innen sollen über das individuelle Risiko eines SUDEP aufgeklärt werden.
  • Die Aufklärung sollte möglichst frühzeitig und soll so erfolgen, dass das (geringe) SUDEP-Risiko verständlich vermittelt und über die Vermeidung potenzieller Risikofaktoren informiert wird.

Detaillierte Informationen zu diesem Thema finden Sie in der Leitlinie in Kapitel 2.5.18.

Abbildung: Risikofaktoren für SUDEP

Im nationalen Patientenregister Schwedens wurden 255 Patient:innen mit SUDEP identifiziert, diese wurden mit 1.148 Patient:innen mit Epilepsie (gematcht für Alter, Geschlecht, Schwere der Epilepsie etc.) ohne SUDEP verglichen. Im Vergleich zu Patient:innen ohne generalisierte tonisch-klonische Anfälle, die mit einer anderen Person im gleichen Raum schliefen (Säule vorne rechts, Referenz), hatten diejenigen, die alleine schliefen (Säule hinten rechts), ein mehr als dreifach erhöhtes SUDEP-Risiko. Patienten mit generalisierten tonisch-klonischen Anfällen, die mit einer anderen Person im gleichen Raum schliefen (Säule vorne links) hatten ein 18-fach höheres SUDEP-Risiko als die Referenzgruppe (Säule vorne rechts). Das höchste Risiko, an SUDEP zu versterben, hatten Patient:innen mit generalisiert tonisch-klonischen Anfällen, die alleine schliefen (Säule hinten links); dies lag 67 mal höher als das bei der Referenzgruppe (Säule vorne rechts).

Referenz: Sveinsson et al. Clinical risk factors in SUDEP. A nationwide population-based case-control study. Neurology 2020; 94: e419-e429.

Sport

Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung sind Menschen mit Epilepsie sportlich weniger aktiv. Mögliche Ursachen sind die Überschätzung der Gefährdung durch den Sport sowie die Angst vor Stigmatisierung bei Anfällen während des Sports. Da sich eine regelmäßige sportliche Aktivität positiv auf das psychische Befinden und die Lebensqualität der Betroffenen auswirken kann, sollte eine detaillierte Beratung erfolgen, damit unnötige Ängste abgebaut werden können. Diese sollte bereits zu Beginn der Therapie stattfinden und im Behandlungsverlauf evaluiert werden. Nach ärztlicher Prüfung der Notwendigkeit sollte bei Patient:innen mit therapieresistenten Epilepsien Rehabilitationssport verordnet werden.

Weitere Beratungsthemen

Darüber hinaus gibt es noch zahlreiche weitere relevante Themen, die bei der Beratung berücksichtigt werden sollten, wie z. B. Alkohol, Drogen und Schlaf. Aber auch die Wichtigkeit der Therapieadhärenz soll thematisiert werden, und zu ihrer Verbesserung sollten die Teilnahme an Schulungen, der Einsatz von Hilfsmitteln und „Einnahmestrategien“ empfohlen werden. Darüber hinaus soll auch aktiv auf die verschiedenen Angebote im Bereich Selbsthilfe oder Schulungsprogramme hingewiesen werden.


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