Mit der neu konzipierten S2k-Leitlinie möchten wir den behandelnden Ärzt:innen und Mitarbeitenden anderer Berufsgruppen praxisorientierte Empfehlungen für die Diagnostik, Therapie und Beratung von erwachsenen Patient:innen mit Epilepsie an die Hand geben. Fünf große Themenbereiche wurden jeweils von einer Arbeitsgruppe bearbeitet.
Bei dieser konsensbasierten Leitlinie hat jede Empfehlung einen strukturierten und transparenten Prozess der Entscheidungsfindung durchlaufen, über alle Empfehlungen wurde von den Autor:innen abgestimmt. Die Beteiligung von verschiedenen Fachgesellschaften, von Vertreter:innen verschiedener Berufsgruppen und von der Deutschen Epilepsievereinigung als Vertreterin der Patient:innen reflektiert die Repräsentativität und Diversität der Leitliniengruppe und stellt eine interdisziplinäre Sichtweise auf die Fragestellungen und Empfehlungen sicher. Transparenz und Repräsentativität tragen zur Qualität und Stärke dieser Leitlinie bei.
In diesem Kapitel stehen die Diagnostik und die Indikation für die Initiierung einer anfallssuppressiven Medikation im Vordergrund. Es wird dargestellt, welche Rolle Biomarker im Serum, Liquoruntersuchung, CT/MRT und EEG in der Diagnostik und im Fall der Bildgebung und des EEGs bei der Abschätzung der Anfallsprognose spielen. Auch der mögliche Einsatz genetischer Diagnostik hinsichtlich der syndromalen Zuordnung der Epilepsie wird näher erläutert. Weitere wichtige Themen sind Screenings hinsichtlich neuropsychologischer Defizite und psychiatrischer Komorbiditäten. Die Leser:innen erhalten einen detaillierten Überblick, welche Aspekte der Diagnostik, Therapie und Beratung nach einem ersten epileptischen Anfall zu berücksichtigen sind.
Die Pharmakotherapie ist die wichtigste Säule in der Behandlung der Epilepsie, für die zahlreiche erprobte Wirkstoffe zur Verfügung stehen. Die Leitlinie enthält klare Empfehlungen für die Mittel der Wahl in Monotherapie bei fokalen und generalisierten Epilepsien. Ein weiteres Augenmerk liegt auf den Herausforderungen der Polytherapie – gerade hinsichtlich Nebenwirkungen und Interaktionen. In einer Übersichtstabelle finden die Leser:innen relevanten Informationen zu den anfallssuppressiven Medikamenten, z. B. hinsichtlich Dosierung, Titration und Zulassungsbereich. In dem Kapitel werden auch konkrete Empfehlungen für die Behandlung spezifischer Patientengruppen, wie ältere Personen und Frauen im gebärfähigen Alter, gegeben.
Durch die operative Entfernung des Anfallsursprungs kann bei vielen Patient:innen mit pharmakoresistenter Epilepsie Anfallsfreiheit bzw. eine erhebliche Reduktion der Anfallshäufigkeit und -schwere erreicht werden. In der Praxis kommt die Epilepsiechirurgie noch bei zu wenigen Patient:innen und dann oft erst sehr spät zum Einsatz. Die Informationen in dieser Leitlinie zu den verschiedenen Verfahren und die klaren Empfehlungen zur prächirurgischen Diagnostik und Epilepsiechirurgie, die nur von spezialisierten Zentren durchgeführt werden, sollen diesen Behandlungsansatz als effektive Therapieoption für Patient:innen mit schwer behandelbarer Epilepsie mehr in den Vordergrund rücken. Bei Einsatz der Epilepsiechirurgie sollte die postoperative Phase, die von den Patient:innen physische, psychische und soziale Adaptionsleistungen verlangt, besondere Beachtung finden.
Neben der Pharmakotherapie spielen bei der Epilepsie auch andere ergänzende und unterstützende Verfahren, wie z. B. ketogene Diäten, eine große Rolle. Vor allem die oft bestehenden psychiatrischen Komorbiditäten bedürfen ihrerseits einer spezifischen Therapie. Psychopharmaka und Anfallssuppressiva sollten gut aufeinander abgestimmt werden, um Interaktionen zu vermeiden. Darüber hinaus wird auch auf den Stellenwert psychotherapeutischer Verfahren bei Angststörungen und Depression sowie auf den von neuropsychologischen Therapien bei kognitiven Störungen hingewiesen. Das Ziel dieser Therapieansätze besteht letztendlich darin, die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Yoga und Entspannungsübungen können hier ebenso wie Biofeedback-Verfahren oder Musiktherapie unterstützend helfen. Diese Ansätze können die anfallssuppressive Medikation aber nicht ersetzen.
Bei der Epilepsie handelt es sich um eine chronische neurologische Erkrankung, die in der Öffentlichkeit immer noch mit Unkenntnis und Tabus behaftet ist. Umso größer ist die Rolle, die psychosoziale Aspekte im Versorgungsmanagement spielen. Neurolog:innen, Sozialarbeiter:innen, Psycholog:innen und Mitarbeitende anderer Disziplinen sind wichtige Ansprechpartner:innen, die die multi- und interdisziplinäre Beratung der Patient:innen gewährleisten. Sie fungieren als Berater und Lotsen, wenn es um Themen wie Kraftfahreignung, Ausbildung und Beruf, aber auch Partnerschaft, Familie, Sport und Reisen geht. Weitere Aspekte sind die Beratung zu Schulungsmöglichkeiten, zu Selbsthilfe sowie zur medizinischen Rehabilitation.